Politiker wollen erst kurz vor den Wahlen immer dorthin, wo die Menschen sind. Wo es riecht und schmeckt und manchmal auch stinkt. Dokumentarfilme sind schon immer dort. Mit Haut und Haaren, selten inszeniert und zumeist darauf angewiesen, dass vor der Kamera das passiert, was uns der Autor – und das Leben – erzählen will. Zentrale Anlaufstelle für die Begegnung von Dokumentarfilmern und Publikum ist auch in diesem Jahr die Kulturfabrik Meda. Aus 86 Einreichungen wurden neun Wettbewerbsfilme ausgewählt, die die Themen und Qualitäten unserer Zeit widerspiegeln: Frieden in Zeiten zunehmender Militarisierung, Selbsterfindung und Selbstbehauptung, Umweltzerstörung, die Kraft der Musik, Vergewisserungen in der eigenen Geschichte und und und. Es riecht und schmeckt und stinkt!
PL | 2016 | 86 min | DCP, BR
Regie: Michał Jaskulski, Lawrence LoewingerDrehbuch: Michał JaskulskiKamera: Michał JaskulskiProduzent: Michal Jaskulski, Lawrence Loewinger, Marcin WierzchoslawskiSchnitt: Marcin Latanik
Polen 1946, ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg. 42 überlebende Juden werden von Milizen, Soldaten und Einwohnern ermordet, 80 Menschen verletzt. Der Pogrom von Kielce gilt als Symbol des polnischen Antisemitismus der Nachkriegszeit, doch erst mit dem Fall des Kommunismus beginnt der Katholik Bogdan Białek öffentlich darüber zu sprechen. Er versucht, Verschwörungstheorien über den Pogrom sowie die Vorurteile zwischen Polen und Juden abzubauen und langsam beginnt eine Annäherung, die aber nicht bedingungslos ist. Fast 10 Jahre begleiteten die Filmemacher die schwierige gemeinsame Aufarbeitung.
Zu Gast: Lawrence Loewinger
CZ | 2016 | 67 min | DCP, BR
Regie: Tomáš KudrnaDrehbuch: Tomáš KudrnaKamera: Tomáš KudrnaProduzent: Alena MüllerováSchnitt: Evženie Brabcová
Die bekannte Roma-Sängerin Ida Kelarová sucht für ihren Chavorenge-Chor jedes Jahr neue junge Talente in slowakischen und tschechischen Roma-Siedlungen. Voller Freude und Ehrgeiz arbeiten die Kinder auf ein Konzert hin, bei dem sie von Mitgliedern der Tschechischen Philharmonie begleitet werden. Aus der Perspektive einer Teilnehmerin zeigt der Film die Proben, bei denen die Kinder über die Musik mit ihrer Identität als Roma konfrontiert werden. Emotional aufgeladene Situationen wie der Besuch des armen Romadorfes Hermanovce eröffnen einen intimen und authentischen Blick auf die Welt der Roma.
Zu Gast: Tomáš Kudrna
DE | 2016 | 82 min | DCP, BR
Regie: Anna KochDrehbuch: Anna Koch, Julia LemkeKamera: Julia LemkeProduzent: Anna Wendt, Fabian WinkelmannDarsteller: Lisa, Debby, Janny, Michelle
Vier zwölfjährige Mädchen beziehen das renommierte Sportinternat in Frankfurt/Oder. Sie wachsen heran in einem strengen Korsett aus Trainingszeiten, Gewichtsklasse und Leistungsdruck. Als Ringerinnen träumen alle vier vom Meisterschaftstitel, doch abseits der Matte kämpft jede ihren ganz eigenen Kampf. Das Filmteam hat die Mädchen vier Jahre lang begleitet – bis zu den ersten Kämpfen auf internationalem Parkett. Sowohl vor als auch hinter der Kamera waren Ausdauer, Biss und ein langer Atem nötig, Durchhänger und Niederlagen wegzustecken und mit blauem Auge wieder zurück auf die Matte zu gehen.
Zu Gast: Anna Koch
DE, KZ | 2016 | 86 min | DCP
Regie: Katerina SuvorovaDrehbuch: Katerina Suvorova, Johannes WahlströmKamera: Eugen SchlegelProduzent: Anna Vilgelmi, Sain GabdullinSchnitt: Ola Knaub
Die Austrocknung des Aralsees ist eine der verheerendsten menschengemachten Katastrophen der Geschichte. Nur Salzwüste und rostige Schiffsskelette liegen unterm Horizont. Der Film zeigt eine post-apokalyptische Landschaft, wo das Meer weg, der Mensch aber noch da ist: ein Fischer ohne Fische, ein Gärtner, der nur salzige Erde für seine Bäume hat, eine Biologin, die täglich den Schlamm des ehemaligen Seebeckens analysiert, und Piraten, die in einem Schiffswrack hausen. Die Einheimischen sagen, das Land erneuere sich alle 100 Jahre. Das Meer ist weg, aber vielleicht ist es eines Tages wieder da.
Zu Gast: Anna Vilgelmi
CZ | 2016 | 92 min | DCP, BR
Regie: Miroslav JanekDrehbuch: Miroslav JanekKamera: Miroslav JanekProduzent: Jan MacolaSchnitt: Tonička Janková
Wer ist normal? Miroslav Janek provoziert und lädt ein, sich auf die Wahrnehmung seiner Protagonisten einzulassen. Luka hat einen unverwechselbaren Sinn für Humor, liebt Filme und schreibt eigene Drehbücher. Denis ist ein Klaviervirtuose und in der Lage, anspruchsvolle klassische Stücke zu spielen. Majda mag Rap, schreibt ihre eigenen Texte. Sie alle sind Jugendliche mit Asperger Syndrom. Zwei Jahre lang folgte Miroslav Janek seinen „Aspies“ mit der Kamera. Entstanden ist ein Film voll von bemerkenswerter Leichtigkeit über die Schönheit der Andersartigkeit.
CZ | 2016 | 70 min | DCP
Regie: Adéla KomrzýDrehbuch: Adéla KomrzýKamera: Adéla Komrzý, Filip Marek, Stanislav AdamProduzent: Vít Klusák, Filip Remunda, Petr KubicaSchnitt: Mariana Kozáková
Der Film dokumentiert die Rückkehr des militärischen Geistes. Die Versuche, Wehrunterricht oder Wehrpflicht zu erneuern und das Volk insgesamt auf den nächsten Krieg vorzubereiten, gehen einher mit dessen Angst vor den Russen, Muslimen oder beliebigen anderen "Feinden". Ein Beobachtungsflug über das Maschinengewehrnest des tschechischen Militarismus wird zur grotesken, beunruhigenden Militärschau. Der Film zeigt, wie leicht Menschen von den Medien in eine Paranoia hineinmanipuliert werden können und ist auch eine Warnung vor der Möglichkeit, dass Extremismus Teil des Lehrplans wird.
Zu Gast: Adéla Komrzý
PL, DE | 2016 | 26 min | DCP
Regie: Filip JacobsonDrehbuch: Filip JacobsonKamera: Łukasz Ostalski, Filip JacobsonProduzent: Filip Jacobson, Ute DilgerSchnitt: Tomasz Polsakiewicz
Ein Song-Contest voll von patriotischem Heldentum, Mut, Blut, Schweiß und Tränen an einer polnischen Grundschule wirft Fragen zwischen Eltern und Lehrern zu institutionell diktiertem Patriotismus auf.
PL | 2016 | 70 min | DCP
Regie: Piotr StasikDrehbuch: Piotr StasikKamera: Piotr StasikProduzent: Agnieszka WasiakSchnitt: Piotr Stasik, Tomasz Wolski, Dorota Wardeszkiewicz
8 Millionen Menschen leben in New York und viele von ihnen nutzen täglich die U-Bahn. In intimen Gesprächen erzählen 21 Menschen von ihrem Alltag, ihren Träumen, ihren Lieben und Sehnsüchten. Da die Kamera ihnen immer wieder aus dem Untergrund an die Oberfläche folgt, bietet sich den Zuschauern ein New York, das man weder aus Reiseführern noch aus Hollywoodfilmen kennt. Der beinahe hypnotische Film ist eine Art Reflexion über die westliche Zivilisation, in der trotz allen Fortschritts der Kampf gegen das Alleinsein und die Sehnsucht nach Zweisamkeit der elementare Motor des Daseins bleibt.
DE, AL | 2016 | 85 min | DCP
Regie: Carsten Rau, Hauke WendlerDrehbuch: Carsten Rau, Hauke WendlerKamera: Boris Mahlau, Felix Korfmann, Andrzej KrólProduzent: Carsten Rau, Hauke WendlerSchnitt: Sigrid Sveistrup
Sie kommen in der Nacht, reißen Familien aus dem Schlaf, geben ihnen eine halbe Stunde Zeit zum Packen und setzen sie in ein Flugzeug: Polizei und Ausländerbehörden haben im letzten Jahr 21.000 Asylbewerber abgeschoben. Und die Kanzlerin fordert bereits eine „nationale Kraftanstrengung“, um noch konsequenter durchzugreifen. Doch was bedeutet Abschiebung eigentlich und was macht sie mit den Abgeschobenen? Der Film zeichnet ein umfassendes Bild dieser Zwangsmaßnahmen: von monatelanger Planung des Großeinsatzes bis zur Ankunft im Heimatland – und der heiklen Frage, was die Menschen dort erwartet.
Zu Gast: Hauke Wendler
PL | 2016 | 108 min | DCP, BR
Regie: Marek Gajczak, Lech GnoińskiDrehbuch: Marek Gajczak, Lech GnoińskiKamera: Marek Gajczak, Wojciech Słota, Jerzy PawletaProduzent: Aneta Zagórska, Witold BereśSchnitt: Marek Gajczak,
Jarocin war und ist eine Legende. Mitten in den von Stillstand und Mangel geprägten Achtzigern war das dortige Musikfestival ein Ventil für alle jungen Polen, die anders waren, viele Lebenswege hat es beeinflusst. Diverse Subkulturen begegneten sich auf und vor der Bühne. Von Anfang an wurden Filme über das Festival gedreht – auch nach 1989, als das Großereignis nach Gewaltexzessen von der Bildfläche verschwand und 2005 als Retro-Event für die ganze Familie wiederbelebt wurde. Diverse Aufnahmen aus verschiedenen Phasen zeigen, was vom rebellischen Spirit der frühen Jahre übriggeblieben ist.
Zu Gast: Aneta Zagórska, Marek Gajczak